Weltwirtschaftskrise wiederholt sich nicht

FH Aalen: Weltwirtschaftskrise wiederholt sich nicht
Dr. Marc Dressler

Öffentlichkeitsarbeit und Marketing

Fachhochschule Aalen

22.03.2004 15:47

 

Die Weltwirtschaftskrise wird sich nicht wiederholen. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Christian Kreiss von der Fachhochschule Aalen. Der Professor im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen verglich die Umstände der beiden Wirtschaftskrisen, die sich in den Jahren 1929 und 2000 ereigneten. Am prototypischen Verlauf einer Wirtschaftskrise arbeitete Prof. Kreiss sieben wesentliche Unterschiede in der Situation von heute gegenüber der von damals heraus. Diese sind für ihn Beleg dafür, dass wir heute „von einer Weltwirtschaftskrise weit entfernt sind.“

Die Wirtschaftskrisen verlaufen meist nach sehr ähnlichen Grundmustern: Zuerst kommt eine so genannte Schlüsseltechnologie auf, die eine revolutionäre Änderung der etablierten Wirtschaftsprozesse nach sich zieht. Im Gefolge der Investitionen in diese neuen Schlüsseltechnologien breiten sich Wirtschaftswachstum und Beschäftigung schnell aus. In dieser Boomphase geht die gesteigerte Produktivität der Wirtschaft mit höheren Löhnen der Arbeitnehmer einher.

Die zu erwartende Inflation bleibt aus, weil der Lohndruck auf die Preise von der gesteigerten Produktivität aufgefangen wird: Weil mehr Waren pro Zeiteinheit produziert werden, können die Menschen mit dem Mehr an Geld in der Lohntüte sich auch mehr Waren kaufen. Sie befinden sich dann nicht in einer Konkurrenz um einen gleich groß gebliebenen Warenmarkt, auf dem bei einer größeren Liquidität der Käufer die Preise für die Waren nach oben getrieben werden.

Dem Umstand der ausbleibenden Inflation verdankt die Revolution der Wirtschaftsprozesse den Namen der ‚New Economy‘. Die hohen und oft überzogenen Erwartungen in die Auswirkungen der New Economy führen zu Überinvestitionen, hinter die die gesteigerte Produktivität zurückfällt. Die Folge ist eine Bereinigungskrise der Wirtschaft, die an einstürzenden Aktienkursen an der Börse abgelesen werden kann.

Als Schlüsseltechnologien in den Goldenen 20ern identifiziert Prof. Dr. Christian Kreiss die Fließbandfertigung in der Automobilbranche, die Technisierung der Landwirtschaft (Sämaschine, Mähdrescher) und die elektronischen Haushaltsgeräte (Kühlschrank, Staubsauger). Der Umbruch in der wirtschaftlichen Produktion trieb die Investitionen und die Aktienkurse in die Höhe: Von 1924 bis 1929 stiegen die Werte der Aktien um durchschnittlich das 4,3fache. Es herrschte Vollbeschäftigung. Die Inflation blieb aus. Stattdessen sanken die Preise. Der Preisverfall zog auch die Nachfrage nach Waren in die Tiefe: Kein Mensch kauft etwas über das Lebensnotwendige hinaus, von dem er genau weiß, dass er es am nächsten Tag günstiger bekommen kann, und so fort. Kurz: eine Deflation machte sich breit. Im Oktober/ November 1929 fielen die Aktienkurse binnen drei Wochen um 50 Prozent. Der Abwärtsstrudel hielt an bis 1932. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die börsennotierten Unternehmen 89 Prozent ihres Höchstwertes verloren.

Auch ab März des Jahres 2000 stürzten die Aktienkurse bodenlos in die Tiefe. Bis 2002 hatten sie einen Wertverlust von 63 Prozent zu verzeichnen. Vorausgegangen war dem Börsencrash ein explosives Wirtschafswachstum. Die Informations- und Kommunikationstechnologie, das Internet und die Biotechnologie revolutionierten die Wirtschaftsprozesse und verhalfen den Unternehmen zu ungeahnten Produktivitätssteigerungen. Von 1991 bis 2000 stiegen die Aktienkurse durchschnittlich um das 13,5fache. Dann setzte auf die Überinvestition die Bereinigungskrise ein.

Doch im Unterschied zur Weltwirtschaftskrise von 1929 ist nach Prof. Dr. Kreiss heute keine Massenarbeitslosigkeit und Verelendung zu erwarten. Der Prof. für Wirtschaftsingenieurwesen an der FH Aalen macht seine Erwartung an sieben Punkten fest, in denen sich die heutige Situation von der damaligen unterscheidet:

· Devisen sind heute Papierwährungen und nicht mehr an den so genannten Golddevisenstandard gebunden. Dadurch können die Notenbanken im Falle einer Deflation das sich in Umlauf befindliche Geld nahezu beliebig vermehren;

· Der Verteuerung des Geldes in einer Deflation kann ebenfalls mit einer Senkung der Leitzinsen begegnet werden. Die wirtschaftlichen Folgen einer Vergünstigung von Geld waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch unbekannt, als die Deflation eine noch völlig neuartige Erscheinung war;

· Zentralbanken können durch monetäre Maßnahmen auf dem Geldmarkt die Kette von Bankzusammenbrüchen verhindern, die sich in den 30er Jahren ereignete;

· Fiskalpolitisch wurde das Laisser-faire eines sich selbst heilenden Marktes durch einen expansiven Interventionismus ersetzt, der nicht vor defizitären Staatsausgaben zurückscheut;

· Das eingerichtete Netz der sozialen Sicherung federt – bei aller teilweise berechtigten Kritik – die Auswirkungen von Wirtschaftskrisen auf Mensch und Staat ab;

· Obwohl der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Finanzmärkten wirtschaftswissenschaftlich umstritten ist, ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass sinkende Kurse an der Börse allein die Wirtschaft in die Tiefe reißen können;

· Der Welthandel ist nach wie vor stabil. Im Jahr 1929 ging er wegen isolierend wirkenden Einfuhrzöllen und Handelshemmnissen schlagartig um über die Hälfte zurück. Eine größere Verflechtung und ein stärkerer Güteraustausch, wovon beispielsweise die Wirtschaft der Europäischen Union geprägt ist, wirken sich dagegen stabilisierend auf den Welthandel aus.

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