Wissenschaftliche Verantwortung

Prof. Dr. Christian Kreiß, Stellungnahme zum öffentlichen Fachgespräch über
„Wissenschaftliche Verantwortung“ am Mittwoch, 4. November 2015

Geldinteressen und wissenschaftliche Verantwortung

Lehren aus der VW-Affäre
Die aktuelle VW-Affäre zur Manipulation wissenschaftlicher Daten zeigt, was geschehen kann, wenn in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Großunternehmen bei den wissenschaftlichen Ergebnissen Interessenskonflikte zwischenWahrheit und Gewinn auftreten. Dann weicht häufig die Wahrheit bzw. die wissenschaftliche Verantwortung dem Gewinnziel. Das überrascht insofern wenig, als Industrieforschung letzten Endes den Zweck hat, die Unternehmensgewinne zu sichern oder zu erhöhen. Das gilt grundsätzlich auch, wenn Unternehmen Geldzuwendungen an Hochschulen in Form von Drittmitteln geben. Wenn daher Industriegelder an Hochschulen fließen, kann man davon ausgehen, dass damit im Normalfall, ähnlich wie bei VW, ein Zweck verfolgt wird, das Gewinnziel.

Erkaufte Glaubwürdigkeit durch scheinbar unabhängige Wissenschaft

Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte bestätigt an Hand zahlloser Fälle, dass Verflechtungen
von Industrie und Hochschulen häufig eine unheilsame Allianz darstellten. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Tabakindustrie: Jahrzehntelang finanzierte sie Universitätsforschung,die die gewünschten Ergebnisse produzierte. Scheinbar unabhängige Hochschulforscher kamen in ihren manipulierten wissenschaftlichen Studien zu dem Ergebnis, dass Rauchen oder Passivrauchen nicht oder kaum gesundheitsschädigend sei. Solche Studien verhinderten über Jahrzehnte hinweg Gesetze zum Schutz von Nichtrauchern – zu Gunsten der Unternehmensgewinne. Diese Vorgehensweise brachte der Tabakindustrie laut Angaben des US-Justizministeriums von 1954 bis 2004, inklusive Zins und Zinseszins, etwa 742Mrd. Dollar Zusatzgewinne ein.Strafzahlungen wurden nicht verhängt, die Strategie war aus Konzernsicht
sehr lukrativ.
Ähnliche Fälle wurden auch in anderen Branchen bekannt: Durch die Chemieindustrie finanzierte wissenschaftliche Studien, die die Schädlichkeit von Dioxin und anderen Schadstoffen bestritten, von der Gentechnikindustrie finanzierte Studien, die die Bedenkenlosigkeit von genveränderten Lebensmitteln aufzeigten usw. Scheinbar unabhängige Forschung wurde häufig zu Marketingzwecken missbraucht. Wissenschaftliche Verantwortung wurde immer wieder Gewinnzwecken geopfert. Das Grundprinzip dabei ist einfach: Die Industrie versucht, den Ruf unabhängiger Universitäten für eigene Zwecke zu nutzen. Veröffentlicht ein Konzernmitarbeiter eine Studie, so wird diese weit kritischer von Medien, Politikern und Bevölkerung beurteilt, als eine scheinbar unabhängige Studie eines scheinbar unabhängigen Forschers an einer unabhängigen Hochschule. Zum Beispiel würde eine Studie von Coca Cola, die belegt, dass zuckerhaltige Softgetränke nicht sehr ungesund sind, sicherlich weit kritischer hinterfragt als eine ebensolche Studie, die von scheinbar unabhängigen, in Wirklichkeit jedoch von Coca Cola finanzierten Wissenschaftlern einer renommierten Universität erstellt wurde, was beispielsweise 2008 geschah.

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