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Alles nur Zufall? Die Auswirkungen der Finanzkrise auf Spanien

Von Prof. Dr. Christian Kreiß, veröffentlicht in HISPANORAMA, August 2011

Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise trifft Spanien besonders hart, die wirtschaftliche Entwicklung Spaniens gibt zur Zeit Anlass zu großem Kummer: Die Arbeitslosigkeit stieg von ihrem Tiefpunkt im Frühjahr 2007 binnen vier Jahren um 3,15 Mio. auf 4,9 Mio. Menschen, die Arbeitslosenquote lag im ersten Quartal 2011 bei 21,3% und ist damit die höchste in der industrialisierten Welt. Die Wirtschaftsleistung bzw. das Sozialprodukt verminderte sich 2011 gegenüber 2010 leicht um 0,1%4, nachdem es 2009 um 3,7% geschrumpft und 2008 um 0,9% gewachsen war. Zum Vergleich: In den Jahren 2004 bis 2007 war die spanische Wirtschaft noch mit Wachstumsraten von 3,3% bis 4% pro Jahr gewachsen. Seit 2008 hat Spanien mithin seinen langjährigen Wachstumspfad dramatisch verlassen. Die spanische Regierung gibt sehr viel mehr Geld aus als sie einnimmt, beinahe € 100 Mrd. 2010. Warum wird Spanien deutlich stärker als viele andere Länder von der Finanzkrise getroffen?

Der Hauptgrund für die derzeitige unerfreuliche wirtschaftliche Entwicklung in Spanien liegt an dem überstarken Wirtschaftsaufschwung der letzten zehn bis fünfzehn Jahre, der maßgeblich durch den Beitritt zum Euro 1999 ausgelöst wurde. Die Übertreibungen des letzten Jahrzehnts werden nun schmerzlich abgebaut. Die Aussicht auf den Euro-Beitritt ließ in Spanien bereits ab 1993 die Zinsen dramatisch sinken. Die kurzfristigen Zinsen sanken von über 14% 1993 auf teilweise nur noch 2%, also um etwa sechs Siebtel (siehe Schaubild „Konvergenz der Zinsen“). Auch die langfristigen Zinsen sanken dramatisch. Am wichtigsten dürfte jedoch der Rückgang der Realzinsen gewesen sein, also der um die Inflation bereinigte Zinsen. Da die Inflation in Spanien seit Einführung des Euros ständig höher war als im Durchschnitt der Euroländer und insbesondere als in Deutschland, waren die von den Kreditnehmern zu zahlenden Zinsen gerade in Spanien mit unter 1,5% pro Jahr vom 01.01.1999 bis 31.12.2009 die niedrigsten im gesamten Euroraum (siehe Schaubild „Nettoauslandsverschuldung in % des BIP – Realzins“) und z. B. deutlich billiger als in Deutschland, wo die Kreditnehmer mit etwa 2,6% die höchsten Realzinsen im ganzen Euroraum zu zahlen hatten.

Solch niedrige Zinsen hatte die iberische Halbinsel noch nie in ihrer jüngeren Wirtschaftsgeschichte erlebt. Was bewirken stark fallende oder niedrige Zinsen für ein Land? Alles, was mit Krediten zu tun hat, wird plötzlich unglaublich billig. Also z. B. Kredite an Unternehmen oder Privathaushalte. Besonders wichtig sind Zinsen für den Hausbau oder Hauserwerb, denn Häuser sind, gemessen am Durchschnittseinkommen, normalerweise sehr teuer und deshalb kaufen fast alle Menschen Häuser mit Hilfe von Bankkrediten. Da die Hausbaukredite für die Spanier nun plötzlich unglaublich billig waren, so billig, dass die Spanier sich erst einmal die Augen reiben mussten, um das wirklich glauben zu können, begannen die Menschen sich ihren langjährigen Lebenstraum zu verwirklichen. Es wurden Häuser in einem Ausmaße gekauft und gebaut, dass man sich nun eigentlich wiederum die Augen hätte reiben müssen (siehe Schaubild Beschäftigte in der Bauwirtschaft, Deutsche Bundesbank (März 2011)

Es wurden viel mehr Häuser gebaut als gebraucht wurden …

In den fünf Jahren von 2002 bis 2006 wurden in Spanien mehr Häuser gebaut als in Deutschland, Frankreich und Italien zusammen. Dabei muss man bedenken, dass die drei Länder Deutschland, Frankreich und Italien gemeinsam eine Wirtschaftskraft haben, die etwa sechs Mal so groß ist wie diejenige Spaniens und eine Bevölkerung, die gemeinsam mehr als vier Mal so hoch ist wie diejenige Spaniens. Mit gesundem Menschenverstand betrachtet war dies eigentlich völlig verrückt und unhaltbar. Umso überraschender ist, dass fast keine namhaften Ökonomen auf diese und andere kaum übersehbaren Fehlentwicklungen hingewiesen haben, sondern im Gegenteil Spanien häufig als Musterschüler Europas hingestellt wurde.

Im Gegenzug verteuerten sich die Realzinsen in Deutschland. Bei Berücksichtigung der Inflationsdifferenz von gut zwei Prozentpunkten im Zeitraum von 1999 bis 2009 hatte Deutschland beinahe ein Jahrzehnt lang deutlich höhere Realzinsen als Spanien und andere Peripherieländer der Eurozone. Durch hohe Realzinsen werden Investitionen aller Art verteuert. Das führte in Deutschland zu schwachem Wirtschaftswachstum, steigender Arbeitslosigkeit (bis zum Höchststand von 5 Mio. Arbeitslosen 2005, sechs Jahre nach Einführung des Euros) und stagnierenden oder sinkenden Reallöhnen der Beschäftigten und der Rentner, während in Peripherieländern wie Spanien genau die entgegengesetzte Entwicklung stattfand. Deutschland wurde nach Einführung des Euros zum „kranken Mann Europas“. Wohl in keinem anderen Land der Eurozone litten die Arbeitnehmer und Rentner so stark unter der Einführung des Euros wie in Mitteleuropa. Man kann dies exemplarisch gut am Schaubild „Beschäftigung in der Bauwirtschaft“ ablesen.

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Comments 1

  1. dieser artikel bringt mir sehr viel für unser referat, danke dafür, ist übrigens auch leicht verständlich

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