Von Prof. Dr. Christian Kreiß, Hochschule Aalen
Erschienen in WiSt Wirtschaftswissenschaftliches Studium Heft 2 Februar 2010, Verlage C.H.Beck und Vahlen München und Frankfurt/M., S.91-95
Der Autor war von 1995 bis 2002 im Investment Banking tätig und hat in dieser Zeit eine Fülle von Private Equity-Transaktionen im Wert von mehreren 100 Mio. Euro beurteilt, betreut, strukturiert und finanziert.
Fazit: Die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen in Deutschland setzen die Handlungsanreize für rational handelnde Private Equity- Gesellschaften unter Rendite- und Risikomaximierungsgesichtspunkten so, dass es ein Gebot der Intelligenz ist, übernommene Unternehmen mit so viel Bankschulden wie möglich zu belasten. Die übernommenen Unternehmen werden dadurch finanziell geschwächt. Unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten tritt eine asymmetrische Verteilung von Vorteilen und Nachteilen ein: Die Gewinne werden privatisiert und an die Geldgeber der Private Equity- Gesellschaften sowie deren Manager ausgeschüttet, die Verluste, die während Wirtschaftsabschwüngen in Form steigender Arbeitslosigkeit und Steuermindereinnahmen entstehen, werden sozialisiert bzw. zum großen Teil von der Allgemeinheit getragen. Unter den gegenwärtigen asymmetrischen rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen würde eine weitere Zunahme von Private Equity- Aktivitäten die Risikoanfälligkeit der Unternehmen systematisch erhöhen und wäre daher gesamtwirtschaftlich betrachtet nachteilhaft. Eine einfache Abhilfe wäre die Einführung eines Haftungsverbundes zwischen erworbenen Unternehmen und Private- Equity- Obergesellschaft.
1. Fallbeispiel
Unternehmenskäufe durch Private Equity- Gesellschaften bzw. Finanzinvestoren – in der Regel so genannte „Leveraged Buyouts“ – haben oft eine sehr komplexe Transaktionsstruktur und es gibt kein generelles Schema wie die Transaktionen ablaufen. Juristische und steuerliche Aspekte spielen eine wichtige Rolle. Auch die Kreditstruktur ist in der Regel recht komplex und bei jeder Transaktion ein wenig anders. Trotzdem soll im Folgenden versucht werden, an Hand eines stark vereinfachten Fallbeispiels die grundlegende Vorgehensweise der Private Equity- Gesellschaften bei Unternehmenskäufen darzustellen.
In der Regel gründen Private Equity-Fonds für jeden einzelnen Unternehmenskauf eine spezielle Firma mit dem einzigen Zweck, diese Einzweckgesellschaft (Neu GmbH) mit dem erworbenen Unternehmen (Ziel GmbH) zu verschmelzen (vgl. Deutsche Bundesbank, Leveraged-Buyout, S.17).
Wie verändern sich die Bilanzen durch den Kauf? Die Aktiva der Neu GmbH sollen vereinfacht nur aus liquiden Mitteln in Höhe von 100 Mio. Euro bestehen. Diese 100 Mio. Euro seien der vereinbarte Kaufpreis für das zum Verkauf angebotene Unternehmen. Die Verbindlichkeiten der Neu GmbH bestehen zu 75% aus Fremdkapital in Form von Bankschulden, 25% seien von der PE-Gesellschaft eingebrachtes Eigenkapital.
Die Vermögenswerte des zu kaufenden Unternehmens bestehen im Anlagevermögen aus Immobilien im Buchwert von 25 Mio. Euro und Maschinen zu 25 Mio. Euro, das Umlaufvermögen bestehe aus 50 Mio. Euro. Die Verbindlichkeiten betragen 50 Mio. Euro Eigenkapital und 50 Mio. Euro Fremdkapital, davon 10 Mio. Euro Bankschulden und 40 Mio. Euro sonstige Verbindlichkeiten wie Lieferantenverbindlichkeiten, Rückstellungen etc. Die Vermögenswerte der Ziel GmbH bleiben durch die Transaktion zunächst unberührt. Die Vermögenswerte der Neu GmbH, der Kaufpreis von 100 Mio. Euro, werden an den oder die Alteigentümer überwiesen, sie verschwinden also aus der gemeinsamen Bilanz (vgl. Betsch/ Groh/Lohmann, S.343ff.).
Eigenkapital wird reduziert, Schulden steigen
Auf der Passivseite der Ziel GmbH bleibt das kurzfristige Fremdkapital dem Unternehmen erhalten. Die 40 Mio. Euro Eigenkapital der Ziel GmbH verlassen die gemeinsame Bilanz im Zuge der Kaufpreiszahlung an den Alteigentümer. Er wird mit 100 Mio. Euro Liquidität ausbezahlt. Damit verschwindet das alte Eigenkapital von 40 Mio. Euro aus der gemeinsamen Bilanz.
Die Verbindlichkeiten der Neu GmbH, die 75 Mio. Euro Bankschulden, die aufgenommen worden waren, um den Kauf zu finanzieren, finden sich nun in der konsolidierten Bilanz der Neu+Ziel GmbH. Das Eigenkapital wurde mit 25 Mio. Euro aus der Bilanz der Neu GmbH übernommen. Warum? Eigenkapital ist eine Residualgröße, es ist das, was übrig bleibt, wenn man die Verbindlichkeiten von den Vermögenswerten abgezogen hat. Kauft man eine Firma, so gehen sämtliche Vermögenswerte, also Aktiva, in das Eigentum des Käufers über. Gleichzeitig verpflichtet sich der Käufer, sämtliche Verbindlichkeiten des gekauften
Unternehmens zu übernehmen. Die Differenz aus diesen Größen ergibt das Eigenkapital. Ein Blick auf die konsolidierte Bilanz zeigt, dass die Summe der Aktiva (ohne den grau unterlegten Posten „Goodwill“) einen Wert von 100 Mio. Euro aufweist. Die Summe der Passiva beträgt jedoch 160 Mio. Euro.
Die Differenz von 60 Mio. Euro tritt auf, da der Käufer bereit war, 60 Mio. Euro mehr für das Unternehmen zu bezahlen, als dessen ursprüngliches Eigenkapital an Buchwert (40 Mio. Euro) betrug, z.B. für den guten Ruf, den guten Kundenstamm des Unternehmens usw. Dieser Differenzbetrag kann nun entweder auf einzelne Aktiva umgelegt werden über Höherbewertung einzelner Vermögenswerte im Zuge der Transaktion oder pauschal als Goodwill bilanziert werden, was im obigen Beispiel aus Vereinfachungsgründen unterstellt wurde (vgl. Berk/ DeMarzo, Corporate Finance, S.887).
Diese Vorgehensweise ist bei Leveraged Buyouts üblich. Die gekaufte Firma wird die Schuldnerin der Bank, muss den Zinsdienst erbringen und die Tilgungsraten leisten. Die Vermögenswerte der ursprünglichen Ziel GmbH können nun als Sicherheiten für die neuen Bankschulden dienen. Daher sind Banken in der Regel zur Finanzierung solcher Unternehmenskäufe mit hohen Darlehensbeträgen bereit: Im Insolvenzfall haben sie normalerweise erstrangigen Zugriff auf die Vermögenswerte der übernommenen Unternehmen, die häufig vor dem Verkauf eine gute Reputation aufweisen.
Neben dieser normalerweise komfortablen Sicherheiten- Situation handeln bzw. handelten die Geschäftsbanken unter Markt- Rahmenbedingungen wie es die Public Choice- Theorie beschreibt: individuell rationales Verhalten kann zu kollektiv irrationalen Konstellationen führen. Klassisches Beispiel dafür ist, dass ein Zuschauer in den vorderen Reihen in einem Theater aufsteht, um besser zu sehen. Für ihn ist das individuell rational. Die hinter ihm Sitzenden stehen dann auch auf, um besser zu sehen, was für sie ebenfalls individuell rational ist. Am Schluss stehen alle statt zu sitzen, was kollektiv irrational ist (vgl. Hirsch, S.5: „If everyone stands on tiptoe, no one sees better“). Übertragen auf Bankfinanzierungen: Private Equity- Finanzierungen waren jahrzehntelang sehr erfolgreich und es gab keine nennenswerten Ausfälle. Private Equity- Finanzierungen sind für Banken deutlich lukrativer als konventionelles Kreditgeschäft. Banken wurden daher seitens ihrer renditebewussten Eigentümer in Private Equity- Finanzierungen gedrängt. Für jede einzelne Bank war das Vorgehen individuell rational. Kollektiv betrachtet wurden irrational hohe Mittel in diese Branche vergeben.
Was geschieht im Ergebnis? Ein ursprünglich konservativ finanziertes (Familien-) Unternehmen verwandelt sich über Nacht in ein riskant finanziertes Unternehmen. Die Eigenkapitalquote von ursprünglich 40% der Bilanzsumme sinkt auf 15,6%. Die Bankschulden, die ursprünglich 10% der Bilanzsumme bzw. 25% des Eigenkapitals ausmachten, steigen auf über 50% der Bilanzsumme bzw. mehr als das Dreifache des Eigenkapitals.
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