Von Prof. Dr. Christian Kreiß, Hochschule Aalen
Erschienen in „horizonte“, herausgegeben von der Koordinierungsstelle Forschung und Entwicklung der Fachhochschulen des Landes Baden- Württemberg, Mannheim, Nr. 34, September 2009, S.65-67
Fazit: die klassische und in der Vergangenheit häufig zutreffende Argumentation, dass nach mehreren Quartalen Konsumzurückhaltung seitens der privaten Haushalte während einer Rezession sich bei den Privathaushalten ein Nachfragestau bildet, der sich gegen Ende der Rezession auflöst und so zu einem erneuten Wirtschaftsaufschwung führt, trifft diesmal nicht zu. Denn dutzende, wenn nicht hunderte Millionen Privathaushalte weltweit sowie eine Vielzahl von Nationen lebten im vergangenen Jahrzehnt teilweise stark über ihre Verhältnisse „auf Kredit“, das heißt ein Teil des Lebensstandards wurde nicht durch eigene Produktionskraft selbst erwirtschaftet. Man kann daher für diesen Teil nicht von einem „Nachfragestau“ sprechen, sondern von einer Illusion, einen höheren Lebensstandard durch anderer Leute Kredit führen zu können als man es aus eigener Kraft gekonnt hätte. Daher dürfte in den kommenden Jahren – spätestens nach Auslaufen der massiven kreditfinanzierten staatlichen Konjunkturprogramme – eine zweite konjunkturelle Abschwungwelle auf uns zukommen.
Die gängige Argumentation wie normale Konjunkturabschwünge enden und in einen neuen Konjunkturaufschwung übergehen – wie sie etwa vom aktuellen Nobelpreisträger für Ökonomie Paul Krugman im Frühjahr 2009 in der New York Times vertreten wurde – lautet wie folgt: Während des Konjunkturabschwungs stellen die privaten Haushalte Anschaffungen langlebiger Konsumgüter wie etwa den Kauf von Immobilien, Autos, Kühlschränken, Fernsehern, Waschmaschinen usw. aufgrund steigender Arbeitslosigkeit und allgemeiner wirtschaftlicher Unsicherheit zurück. Man schiebt den Umzug in ein größeres Haus oder eine erste Eigentumswohnung etwas auf, fährt das existierende Auto etwas länger als geplant und nutzt die vorhandenen Fernseher, Kühlschränke, Waschmaschinen etc. ebenfalls etwas länger als geplant. Durch diese sinkende Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern sinken auch die Investitionen in den entsprechenden Branchen. Es entsteht in Folge dessen ein Nachfragestau auf Seiten der privaten Haushalte und ein Investitionsstau auf Seiten der Industrie.
Die zurückgestaute Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern muss sich jedoch der konventionellen Theorie zufolge eines Tages – nach etwa 12 bis 24 Monaten – auflösen: spätestens wenn das alte Auto zusammenbricht, die Wachmaschine, der Fernseher oder der Kühlschrank den Geist aufgeben sind Ersatz- bzw. Neuanschaffungen angesagt und die privaten Haushalte gehen wieder shoppen. Der damit einhergehende Nachfrageanstieg lässt die Produktion in der Industrie wieder anziehen und die zurückgehaltenen Investitionen im produzierenden Gewerbe werden nachgeholt, was den einsetzenden Wirtschaftsaufschwung verstärkt und somit zu einem Wiederanspringen der Konjunktur führt (oberer Pfeil nach rechts in Abbildung 1). Diese bestechende und in der Vergangenheit meist zutreffende Argumentation wird derzeit von vielen Ökonomen vertreten.
Bei der aktuellen Wirtschaftskrise wird dieser klassische Aufschwung jedoch in dieser Form nicht stattfinden, sondern eine Bewegung in Richtung des Pfeils nach rechts unten in Abbildung 1 einsetzen.
Abbildung 1 zeigt den stilisierten Verlauf des weltweiten Wirtschaftswachstums von 1980 bis etwa 2008. Die untere durchgezogene Linie zeigt den Wachstumspfad, der ohne steigende Verschuldung der Privathaushalte, also aus eigener Kraft, möglich gewesen wäre. Die etwas steiler ansteigende obere durchgezogene Linie beschreibt den stilisierten tatsächlichen Wachstumspfad der letzten knapp 30 Jahre. Dieser Wachstumspfad war jedoch nur auf Grund steigender Verschuldung von vielen Millionen Privathaushalten sowie der Verschuldung zahlreicher Volkswirtschaften insgesamt möglich. In dem Moment, in dem die Zufuhr an Neukrediten an die Privathaushalte oder an verschiedene als kritisch eingestufte Länder aufhört oder sich umdreht, wie es seit Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007 tatsächlich geschieht, wird die Wirtschaft auf den endogenen, aus eigener Kraft erzielbaren Wachstumspfad zurückkehren (steiler Pfeil nach unten). Das heißt, es setzt eine länger anhaltende Bereinigungskrise mit einem Abschwungspotential von vielleicht 10 bis 25% des BIP ein.
Was führte zu diesem zunehmenden Auseinanderklaffen von tatsächlichem und endogen, aus eigner Kraft haltbarem Wirtschaftswachstum? Die weltweit deutlich gestiegene Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen während der letzten Generation.